Welche Anforderungen ergeben sich an die Infrastruktur?

Artikel vom 19. Oktober 2023
ITK und Dienstleistungen

Das Vernetzen von Leitstellen ist ein viel diskutiertes Thema. Eine erleichterte Zusammenarbeit, im Idealfall gepaart mit Kostenersparnissen, lassen klar einen Trend weg von der klassischen Insellösung hin zu vernetzten Leitstellen erkennen. Doch was bedeutet die Vernetzung für die bereitstellende Infrastruktur? Um die Anforderungen an diese Infrastruktur geht es im Folgenden.

Die bessere, schnellere und medienbruchfreie Zusammenarbeit mit anderen Leitstellen ist das Ziel der Vernetzung. Die Hauptmotivation ist die Optimierung der Prozesse und das Einsparen von Ressourcen.
Das betrifft sowohl Leitstellen der gleichen als auch anderer BOS oder auch mit Nicht-BOS-Leitstellen. Beispielsweise stellt die Übermittlung eines Einsatzes (zuständigkeitshalber oder zwecks Beteiligung) per Knopfdruck an eine Partnerleitstelle oder die Unterstützung einer Leitstelle bei einem Ausfall/einer Überlast eine enorme Erleichterung dar.

Grad der Vernetzung

Eine Umsetzung der Standortvernetzung von Leitstellen hängt von der gewünschten Funktionalität, der benötigten Unabhängigkeit der einzelnen Leitstellen sowie rechtlichen, organisatorischen und finanziellen Rahmenbedingungen ab. Es gibt viele Abstufungen zwischen den autark arbeitenden Leitstellen, die höchstens einzelne Informationen über eine gemeinsame Schnittstelle austauschen, und einem Leitstellenverbund, der dieselbe standortunabhängige Infrastruktur mit einer gemeinsamen Datenbasis nutzt. Auch kann der Grad der Vernetzung für die einzelnen Systeme der Leitstelle unterschiedlich sein. Die verschiedenen Stufen der Vernetzung berücksichtigen unter anderem die folgenden Szenarien:
Autarke Leitstellen tauschen sporadisch Informationen zumeist über Telefon aus. Jede Leitstelle an sich ist unabhängig von den anderen Standorten voll arbeitsfähig. Eine Vernetzung bzw. Integration der Leitstellen liegt weder fachlich noch technisch vor.
Technisch gleichartige Leitstellen mit gleichen, lokalen Leitstellensystemen und lokaler, hoch verfügbarer IT-Infrastruktur sind in der Lage, fachliche Daten über systemspezifische sowie untereinander einheitliche Schnittstellen auszutauschen. Eine Vernetzung der Leitstellen liegt fachlich und technisch vor.
Vernetzte Leitstellen mit einem oder mehreren zentralen Systemen arbeiten auf einer gemeinsamen Datenbasis. Sie verfügen lokal über ein einfaches Rückfallsystem. Kollokation zwischen einem zentralen Leitstellensystem und einem Leitstellenstandort ist möglich. Eine Vernetzung der Leitstellen liegt fachlich und technisch vor.
Cloud-basierte Leitstellen verfügen nur noch über lokal zwingend erforderliche Anbindungen (z. B. Notrufleitungen) und Anbindungstechnik. Die Leitstellensysteme werden in wenigen, zentralen Standorten betrieben. Dies erfolgt in Rechenzentren zertifizierter Betreiber (Dienstleister oder eigene Behörde). Fachlich liegen alle, Daten zentral vor. Eine regionale Vertretung, z. B. wegen Brand oder Wartungsarbeiten, ist einfach möglich. Weitere Leitstellen übergreifende Funktionen lassen sich leicht implementieren. Dies können einfache Komfortfunktionen oder auch eine in Echtzeit durchgeführte Datenanalyse mittels Künstlicher Intelligenz sein. Eine Integration der Leitstellen liegt fachlich und technisch vor.

Abbildung 1: Darstellung der Soannbreite der möglichen Vernetzung.

Abbildung 1: Darstellung der Spannbreite der möglichen Vernetzung.

Beliebige Zwischenstufen und Mischformen sind ebenfalls denkbar, so dass sich die in Abbildung 1 gezeigte Spannbreite ergibt. Betrachtet man die Verbindung der Leitstellen in den einzelnen Beispielen, ist die autarke Leitstelle die Einzige, die keine Verbindung zu anderen Leitstellen benötigt. Jegliche Kommunikation erfolgt im Wesentlichen über das öffentliche Telefonnetz. Alle anderen Varianten benötigen Verbindungen untereinander und/oder zu zentralen Rechenzentrumsstandorten. Die Anforderungen an die Verbindungen
variieren mit den Anforderungen der genutzten Dienste sowie den Konsequenzen, die ein Ausfall der Verbindung zur Folge hätte.

Der Ausfall einer Verbindung führt vom Wegfall einzelner Kollaborationsfunktionen unter Beibehaltung aller Standardfunktionen bis hin zum Totalausfall einer Leitstelle.

Je nach Kritikalität der Vernetzung sind entsprechende Anforderungen an die verbindende Infrastruktur notwendig, um die Gefahr eines Ausfalls von Diensten möglichst gering zu halten. Bei den technisch gleichartigen Leitstellen bedeutet ein Ausfall der Kommunikationsverbindung zu einer Partnerleitstelle lediglich, dass Zusatzfunktionen zur einfachen Datenübertragung wegfallen. Der Betrieb der Leitstelle ist weiterhin sichergestellt. Nutzen Leitstellen hingegen eine zentrale Infrastruktur, wie bei der Cloud-basierten Leitstelle, ist kein Betrieb mehr möglich, wenn die Verbindung zum zentralen Rechenzentrum ausgefallen ist.

Anforderungen an die Verbindungen

Die jeweiligen Varianten mit ihren spezifischen Vor- und Nachteilen sind für unterschiedlichste Anwendungsfälle geeignet. Für jedes Szenario müssen jedoch die spezifischen Anforderungen an die Verbindung zwischen den Standorten betrachtet werden. Diese werden im Folgenden in den unterteilten Kategorien Sicherheit, Dienstgüte und Verfügbarkeit erläutert.

Sicherheit

Bei der Kommunikation mit anderen Leitstellen werden auch Daten außerhalb des Einflussbereiches der Leitstelle übertragen. Bei den verwendeten Verbindungen kann es sich um verschiedene Arten an Leitungen und Übertragungswegen auf unterschiedlichen Sicherheitsniveaus handeln. Neben der dedizierten physischen
Leitung (dark fiber), die ausschließlich für die Vernetzung der Leitstellen verwendet wird, gibt es mit anderen, fremden Diensten gemeinsam genutzte Leitungen. Dies sind beispielsweise Landesnetze, virtuelle Netze eines Netzproviders oder auch das
öffentliche Internet.

Info

Weitere Anforderungen bei einer Vernetzung

Zusätzlich zu den Anforderungen an die verbindende Infrastruktur sind weitere Gesichtspunkte und Randbedingungen bei der Vernetzung von Leitstellen zu beachten. Dazu zählen unter anderem:
• Fachliche Regelungen, z. B. einheitliche Definition u. a. von     Einsatzstichworten, Schadenskategorien und Einsatzmittelbezeichnungen
• Technische Regelungen, z. B. Nutzung einheitlicher Schnittstellen
• Gesetzgebung, z. B. Landesgesetze und landesspezifische Förderungsregeln
• Verfügbarkeit von fachlichem und technischem Personal, Know-How im eigenen Haus
• Finanzielle Rahmenbedingungen
• Unabhängigkeit einzelner Leitstellen sowie politische Ziele
Ferner zeigen gleiche Randbedingungen bei jedem Szenario unterschiedliche Relevanzen. Jede einzelne Umsetzung wird individuell entschieden und gelöst.

Netze eines Netzproviders oder auch das öffentliche Internet. Maßnahmen zur Wahrung eines vorgegebenen Sicherheitsniveaus sind in allen Fällen notwendig. Der dazu notwendige Aufwand hängt von der darunterliegenden Netzinfrastruktur ab.

Die Angriffsmöglichkeiten, die Angriffswahrscheinlichkeiten und auch die Erfolgsaussichten eines Angriffs variieren mit der Art der Netzverbindung. Neben einer obligatorischen Ende-zu-Ende Verschlüsselung – zwischen den Leitstellen gibt es keine Instanz, die die übertragenen Daten lesen oder verändern könnte – sind noch weitere Sicherheitsmaßnahmen wie virtuelle Netze oder Tunnel möglich.

Dienstgüte

Die Dienstgüte einer Verbindung, auch bekannt als Quality of Service (QoS), bezeichnet die Qualität eines Dienstes aus Anwendersicht. Die Anforderungen an das Wide Area Network (WAN) zur Sicherstellung der Qualität eines Dienstes unterscheidet sich je nach betrachtetem Dienst. So sind Datenübertragungen wie E-Mail oder Dateitransfers sehr anspruchslos, was die Verzögerung bei der Übertragung oder Laufzeitschwankungen angeht. Einzelne, verlorene Datenpakete werden automatisch erneut übertragen, ohne dass die Qualität dadurch signifikant beeinträchtigt wird. Bei Echtzeit Kommunikationsdiensten sind die Anforderungen an das WAN deutlich höher. Audioübertragungen haben meist die höchsten Anforderungen. Selbst Videoübertragungen sind, abgesehen von der benötigten Datenrate, unempfindlicher gegenüber Störungen als die Sprachkommunikation. Nutzt man einen gegenüber Netzwerkeinflüssen sensiblen Dienst in einem beliebigen Netz, bedeutet dies nicht, dass die Qualität automatisch beeinträchtigt ist. Es kann jedoch dazu kommen, dass auf Grund der Parallelnutzung weiterer Dienste, wie es im Datennetz üblich ist, die Ressourcen zeitweise nicht ausreichen, um die erforderliche Qualität gewährleisten zu können.

Manchmal können Dienste zeitweise gar nicht genutzt werden. Um dies zu Verhindern und eine durchgehend gute Qualität sicherzustellen, ist die Nutzung von QoS-Mechanismen notwendig.
Hier werden die Dienste nach Anforderung unterschieden und entsprechend priorisiert. Die E-Mail mit Anhang benötigt zwei Sekunden länger bei der Übertragung, dafür funktioniert die Sprachkommunikation ohne Aussetzer in Echtzeit. Abbildung 2 veranschaulicht, wie Pakete eines Dateitransfers bei Bedarf warten müssen, wenn sie gemeinsam mit hoch priorisierten Sprachdaten über eine WAN-Strecke mit begrenzter Kapazität übertragen werden.

Abbildung 2: Priorisierung auf der WAN-Strecke.

Abbildung 2: Priorisierung auf der WAN-Strecke.

Die E-Mail mit Anhang benötigt zwei Sekunden länger bei der Übertragung, dafür funktioniert die Sprachkommunikation ohne Aussetzer in Echtzeit. Abbildung 2 veranschaulicht, wie Pakete eines Dateitransfers bei Bedarf warten müssen, wenn sie gemeinsam mit hoch priorisierten Sprachdaten über eine WAN-Strecke mit begrenzter Kapazität übertragen werden.

Auswirkung des Netzwerkes auf die Sprachqualität

Bei Telefongesprächen wird die Qualität mithilfe des Mean Opinion Score (MOS) gemessen. Netzwerkseitig gibt es drei Faktoren, die den MOS beeinflussen können: Ein Paketverlust (packet loss) bedeutet eine kurze Unterbrechung in der Audiowiedergabe.

Eine zu große Laufzeitschwankung (jitter) bedeutet ebenfalls eine Unterbrechung der Audiowiedergabe, da die Wiedergabeinformationen nicht immer rechtzeitig zur Wiedergabe beim Empfänger vorliegen. Die Verzögerung (latency) im Netzwerk hat keinen Einfluss auf die Sprachqualität (MOS-LQ, listening quality) an sich, jedoch auf die Konversationsqualität (MOS-CQ, conversational quality). Auf Grund einer erhöhten Verzögerung bei der Übertragung fallen sich Gesprächspartner häufiger gegenseitig ins Wort und die Verständigung leidet.

QoS-Mechanismen können in selbst verwalteten Netzen konfiguriert und genutzt werden. Im öffentlichen Internet stehen sie jedoch nicht zur Verfügung. Hier sind alle Dienste gleichberechtigt (best effort). Bei der Vernetzung von Leitstellen sind QoS-Parameter anhand der genutzten Dienste entsprechend zu wählen.

Verfügbarkeit

Auch wenn die Anforderungen an die Verfügbarkeit einer Verbindung zu einer Partnerleitstelle immer hoch sind, unterscheiden  sie sich je nach verwendeter Funktionalität. Meist muss sichergestellt sein, dass bei einem Ausfall einer Verbindung automatisch eine Alternativverbindung verwendet wird und die Auswirkungen auf den Leitstellenbetrieb unmerklich oder zumindest nur minimal sind. Üblicherweise werden verschiedene Netzbetreiber gewählt, die voneinander unabhängige Verbindungen bereitstellen. Hier ist jedoch zu beachten, dass unter Umständen unterschiedliche Netzbetreiber eine gemeinsame Trasse oder einen gemeinsamen Netzknoten (Hauptverteiler) verwenden. Das Kappen eines Leitungsstranges durch einen Bagger hätte den Ausfall beider Verbindungen zur Folge.
Die nachfolgenden Kriterien stellen sicher, solche Anforderungen zu erfüllen:
• Knoten- und kantendisjunkte Streckenführung
inkl. getrennte Grundstücksund
Hauszuführung
• Dreifache Streckenführung für sehr
hochverfügbare Anbindungen
• Mediendivergenz, Verwendung unterschiedlicher
Übertragungsmedien wie
Glasfaser-, Funk- und Satellitenverbindungen
• Physische Absicherung getrennter Mehr-
Wege-Führung der WAN-Strecken
• Robustheit gegen Stromausfälle
Für eine Gewissheit der tatsächlichen Unabhängigkeit zueinander redundanter Strecken und Übertragungsknoten ist eine stichhaltige Prüfung der Detailpläne zusammen mit den Netzanbietern erforderlich; dies gilt sogar bei einer Kombination von Festnetz- und Mobilfunkverbindungen. Ein Service Level Agreement (SLA) ist keine adäquate Alternative.

Fazit

Die Vernetzung von Leitstellen ist ein sinnvoller Schritt zur Verbesserung überregionaler oder kooperativer Zusammenarbeit. Gegenseitige Vertretung in unterschiedlichen Szenarien führt zu einer höheren Robustheit und zu einer Verbesserung der überregionalen Zusammenarbeit im Leitstellenbetrieb. Unter gewissen Gesichtspunkten wird eine deutliche Kostensteigerung
vor allem für kleinere Standorte abgefangen, ohne Standorte zusammenlegen zu müssen. Ein deutlicher Wille der Zusammenarbeit ist erforderlich, um dieses substanzielle Potenzial zu heben, auch wenn er der heutigen Individualität in den etablierten Leitstellenstrukturen entgegensteht. Dies gilt vor allem für Kooperationen zwischen unterschiedlichen Behörden sowie Betreibern. Je intensiver eine Kommunikation zwischen Leitstellen genutzt wird, desto sorgfältiger ist ein Augenmerk auf die Robustheit der Verbindungen – die WANStrecken – zu legen. Denn alle Ebenen einer Vernetzung, angefangen bei den verlegten Glasfaserleitungen über die Konfiguration der Übertragungsparameter bis hin zu der Anwendungsschicht in den Leitstellensystemen, sind aufeinander
abzustimmen.

Teilen
PDF-Download
Weiterempfehlen
Drucken
Anzeige Hersteller aus dieser Kategorie
ZF Friedrichshafen AG
Löwentaler Str. 20
D-88046 Friedrichshafen
07541 77-4381
rescue-connect@zf.com
www.zf.com/rescue-connect
Firmenprofil ansehen
Vomatec Innovations GmbH
Riegelgrube 7
D-55543 Bad Kreuznach
0671 796140-0
info@vomatec.de
www.vomatec.de
Firmenprofil ansehen
Netze BW GmbH
Schelmenwasenstr. 15
D-70567 Stuttgart
0711 289-88888
sat-notfall@netze-bw.de
www.netze-bw.de/notfallkommunikation
Firmenprofil ansehen